Aus dem Schulleben
Man beginnt einen Aufsatz nicht mit dem Wörtchen „Ich“. Das ist der einzige Grund für die Anwesenheit der ersten zwei Zeilen.
Ich bin eine fleißige Schülerin der Oberstufe eines bayrischen Mädchen-Gymnasiums, (noch) zufrieden mit meinem Notenschnitt, lebe mit meiner Mutter in einer kleinen Wohnung und bin sarkastisch aus Überzeugung.
Was mich bewegt, zu schreiben? Mangelnde Freizeitfüllung dürfte es nicht sein, da wir Schülerinnen glücklicherweise großzügig mit Stoff eingedeckt werden. Es dürfte uns eigentlich niemals langweilig werden. Beneidenswert.
Bezeichnend war zum Beispiel der heutige erste Schultag nach den Sommerferien. Nicht nur, dass uns mitgeteilt wird, wir könnten uns nun häuslich in der Schule einrichten, da wir im Durchschnitt ca. 43 Stunden pro Woche in der Schule verbringen (in meinem Falle sind es 45), nein. Damit ist es noch lange nicht getan. Die Arbeit beginnt zumeist erst, wenn wir um 6 Uhr abends abgekämpft die heimischen Gefilde betreten, erst einmal 2 Kannen Kaffee in uns hineinschütten und uns an den Berg auf unserem Schreibtisch machen, der aus Hausaufgaben, Schulaufgabenvorbereitungen, Führerscheintheorie und Referaten besteht. Ein nicht zu unterschätzender Posten sind dabei zweifellos die Unterrichtsvorbereitungen für den nächsten Tag. Denn wer kennt das Phänomen der spontanen Leistungsnachweise nicht, die zumeist mit 99%iger Sicherheit diejenige treffen, die sich am wenigsten mit dem Stoff auskennt. Die sicherste Methode, niemals abgefragt zu werden, ist, sich auf jede Stunde sorgfältig vorzubereiten. Man lernt zwar dann quasi umsonst…aber wen interessiert das schon. Das letzte Prozent trifft ein, wenn eine Vertretung erscheint.
Faszinierend fand ich weiter, dass uns seit nun mehr 10 Jahren ein Zitat eingetrichtert wurde, das wie folgt lautet: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“. Dieses Zitat wird im Allgemeinen Seneca untergeschoben, wenngleich er etwas Derartiges niemals zu Papier gebracht hat. Nein, unsere müden Augen trügen uns nicht, wenn wir in der Epistulae XVII, 106, 12 lesen: "Non vitae, sed scholae discimus", was das genaue Gegenteil bedeutet. Seneca war Realist. Ich schweife ab.
Was ich eigentlich an den Leser bringen wollte, ist der Ausspruch einer meiner neuen Lehrerinnen, die sinngemäß meinte: „Hier wird getestet, wie sie mit Stress und Druck umgehen können. Wir werden sie einem nicht zu bewältigendem Pensum aussetzen und dann wird sich herausstellen, wer kämpft und wer einknickt.“ Des Weiteren zitierte sie aus einem Schreiben des Kultusministeriums bezüglich des anzustrebenden Lernzieles: „Die Schülerinnen sollen nun zu selbstständigem Denken erzogen werden.“ Endlich ist es soweit. Hipphipp, Hurra. Nachdem wir jahrelang die Meinungen unserer Erzieher auswendig lernten.
Was zu beachten ist.
Heute, dem zweiten Schultag dieses Jahres, kommen wir sogleich in den Genuss einer Doppelstunde Englisch. Wir beginnen sogleich mit dem Stoff und der Ankündigung, dass in naher Zukunft ein Referatsblock anstehe. Hierzu wird uns ein äußerst informatives Schreiben ausgeteilt, das Tipps wie: „Teile deinen Zuhörern mit, wovon zu sprichst.“ enthält. Das eigentlich Geniale an diesem Handout war eine kurze Bemerkung, die am unteren Rand mit der Überschrift „Remember“ versehen war. Diese Bemerkung teilt uns mit, dass wir keinesfalls länger als 10 Minuten sprechen sollten, da kein Mensch sich über diesen Zeitraum hinaus konzentrieren kann.
Es war die vierte Stunde in Folge von Elf, in denen von uns permanente Konzentration vorausgesetzt wird.
Ich resigniere.